Dr. Gunther Kegel: “Wir brauchen jetzt ein positives Zukunftsbild”

Der CEO der Pepperl+Fuchs AG und neugewählte Präsident des ZVEI im Gespräch über die Auswirkungen von Corona, die industriellen Perspektiven in Krise der und die Zukunft der Globalisierung.

Herr Dr. Kegel, wie wirkt sich die Corona-Krise auf Pepperl & Fuchs aus?

Bei der Lieferung sind wir sehr stabil, aber in der Nachfrage macht sich die Entwicklung auch bei uns deutlich bemerkbar. Im ersten Halbjahr erwarten wir ein Minus von 9 Prozent gegenüber dem Vorjahreswert. Bis in den Juni konnten wir Kurzarbeit vermeiden, werden aber aufgrund der schwachen Auftragseingänge jetzt mit 20 Prozent Kurzarbeit in weiten Teilen der Betriebe beginnen müssen. Zum Jahresende werden wir wohl irgendwo zwischen 5 und 10 Prozent im Umsatz-Minus liegen. Das muss man als Unternehmen wegstecken können, auch wenn wir damit unsere Wachstumspläne neu justieren müssen. Kostensenkungen und die Sicherung von Cash-Positionen stehen derzeit im Vordergrund. Aber wir wollen als Unternehmen jetzt beim “Firefighting” natürlich die Innovationsthemen nicht ganz aus den Köpfen verlieren, auch wenn es bei den langfristigen Projekten zu Verzögerungen kommen wird.

Viele Firmen berichten von einer höheren Akzeptanz für die Digitalisierung. Wie sieht das bei Ihren Teams aus?   

Wir sind mit 1400 Leuten in den Home-Office Kaltstart gegangen. Kurz davor hatten wir das Ausrollen einer Web-Meeting-Infrastruktur weltweit abgeschlossen, die sich jetzt als sehr robust erwiesen hat. Zudem haben wir bereits vor einem Jahr ein unternehmensweites Schulungsprogramm aufgesetzt -“die digitale Agenda”-, ein Lernprogramm für 160 bis 200 Stunden Lern- und Bearbeitungsaufwand. Zu unserer Überraschung haben wir außerdem festgestellt, dass die Effizienz im Home-Office schlagartig eher gestiegen ist. Die Vertrautheit der Mitarbeiter mit digitalen Medien kennzeichnet übrigens alle Alterskohorten. Schwierig ist die Situation für Mitarbeiter, die zu Hause kleine Kinder zu betreuen haben, die das aber mit einer bewundernswerten Flexibilität stemmen. Dass Kitas über Monate geschlossen sind, während Kneipen und Bars wieder aufmachen, war für mich völlig unverständlich und unlogisch. 

Wir müssen das psychologische Problem von Covid19 auflösen

Wie  sicher sind die Betriebsstätten selbst?

Die deutschen Unternehmen der Elektrotechnik hatten große Herausforderungen zu meistern. Bei der Umsetzung der vorgegebenen Hygienekonzepte waren sie vorbildlich, auch weil man durch den frühen Ansteckungsfall beim Automobilzulieferer Webasto rechtzeitig gewarnt wurde. In der Elektroindustrie sind meines Wissens nirgendwo Übertragungsherde entstanden. Ein bisschen die preußische Tugend: Wenn die Kanzlerin etwas ansagt, dann machen wir das auch gründlich. Die Infektionsketten sind folglich an den Werkstoren abgerissen. Bei unseren 6200 Mitarbeitern an den 50 weltweiten Standorten von Pepperl+Fuchs  gab es innerhalb des Unternehmens bisher keine Ansteckungen! Mit Vorsicht und der Entschlossenheit, die Hygiene und Sicherheit weiter unter Kontrolle behalten, sollte es jetzt weitergehen.

Und was muss geschehen, damit die Nachfrage wieder anspringt?

Neben den schnellen wirtschaftspolitischen Maßnahmen und den Finanzspritzen braucht es jetzt vor allem eine positive Zukunftseinschätzung. Es wirkt fast wie ein Brain-Washing, wenn jetzt das Corona-Lebensrisiko über fast jedes andere Risiko gestellt wird. Der Plan, ein neues Auto zu kaufen, macht durchaus noch Sinn im Leben – wer diese Perspektive nicht mehr hat, bei dem wirken auch Preisabschläge von 20 Prozent nicht. Wir müssen dieses psychologische Problem von Covid19 auflösen und  die Krankheit in den allgemeinen Kontext der Lebensrisiken stellen. Wir haben viel getan, um uns gegenseitig zu helfen. Diese Energie brauchen wir jetzt, um wieder ein positives Zukunftsbild herzustellen. 

Welche Signale geben Ihnen die Kontakte in die internationalen Märkte?

Ich bin mir ganz sicher, dass wir in China schon jetzt wieder ein ganz anderes Zukunftsbild haben. Die viel kritisierte chinesische Regierung hat – wenn auch mit Repressalien – die Pandemie ganz gut in den Griff bekommen. Unsere chinesischen Geschäftsführer sind guter Stimmung und unisono der Meinung, dass die Wirtschaft mit Volldampf aus der Krise kommt. Die PKW-Verkäufe waren im April schon wieder bei 90 Prozent des Vorjahres. Es wird gewaltig in E-Commerce und in die Logistik investiert. Eine positive Stimmung, auch wenn offensichtlich per System verordnet, scheint zu wirken. Unsere Auftragseingänge liegen deutlich  über dem Vorjahr. Wir sind dort durch die Krise durch und kreuzen die Finger, dass es nicht zu einem landesweiten Rückschlag kommt. Diese Dynamik der Erholung haben wir in Deutschland  und auch in Japan oder z.B. Indien noch nicht. Die Krise in den europäischen Ländern ist zudem deutlich einschneidender. Wir gehen nicht davon aus, dass wir schon im dritten Quartal eine Wende ins Positive sehen werden. 

De-Globalisierung der Industrie – das ist unrealistischer Populismus

Wie stabil waren und sind Ihre Supply Chains in der Krise? Macht das Zurückstutzen globaler Lieferketten die Industrie krisenfester? 

Das halte ich einfach für Populismus. Natürlich gibt es Güter, in denen eine einseitige Abhängigkeit – wie etwa bei den Pharmazeutika – eine volkswirtschaftliche Schwäche darstellt.  Aber bei der Industrieausrüstung ist eine De-Globalisierung unrealistisch. Der erreichte Stand der Internationalisierung von Lieferketten resultiert nicht aus einem Beschluss, einfach “zu globalisieren”. Er ist das Ergebnis des Bemühens unsere Kunden weltweit optimal und wettbewerbsfähig zu bedienen. Die Kombination von Fertigungsstandorten in Amerika, Europa und  Fernost und die vertriebliche Präsenz in der ganzen Welt erschienen uns als die optimale Lösung. Mit unseren Produkten, bei denen wir kaum Frachtkosten haben, wollen wir in den wichtigen Absatzmärkten erfolgreich sein. Dort dann aber Wertschöpfung kategorisch abzulehnen und als Exportweltmeister alles aus Deutschland heraus liefern zu wollen – das wird nicht funktionieren. Wir wollen uns aus diesen Märkten nicht  verabschieden. Denn die globale Struktur bewährt sich in der Corona-Krise gerade. Unsere Lieferbereitschaft war immer schon hoch. In acht von zehn Fällen können wir zum Wunschtermin des Kunden liefern. Trotz Corona können wir dieses Level an Liefertreue halten und 95 Prozent unserer zugesagten Termine einhalten. Zwischenlager und Second-Source-Strategien haben uns bei den Engpässen nach den Lockdowns geholfen. Wir haben sehr stabile globale Versorgungsketten.

 

Ein neuer Werkzeug-Realismus in der Industrie

Wie kann eine industrielle Zukunftsperspektive für die Zeit nach Corona aussehen?

Das eigentliche Problem ist, die Wirtschaft jetzt aus einem Riesenloch wieder herauszuholen. Wir wissen nicht, welche Industrien schnell wieder auf die früheren Umsätze zurückkommen. Was wir aber in der Krise gelernt haben ist, dass nicht die technologische Machbarkeit, sondern der nachvollziehbare Nutzen das wichtigste Erfolgskriterium ist. Es gibt neue Geschäftsmodelle und viele digitale Features für die Produktlinien. Aber alles, was keinen dauerhaften Nutzen generiert, wird keinen Bestand haben. Für einige der Konzepte von industriellen Start-ups, für die niemand einen Nutzen sieht und die niemand bezahlen will, wird es schwierig. Es sollte ein neuer Werkzeug-Realismus einkehren. Es ist ein gedanklicher Fehler, anzunehmen, dass Maschinen, die dem Menschen in den für ihn schwierigen Disziplinen überlegen sind, auch die Aufgaben perfekt erledigen, die dem Menschen in der Regel leicht fallen. Wie stiftet Künstliche Intelligenz wirklich einen Nutzen, der sich auch ganz schnell umsetzen lässt? Dass wir alle selbst erst KI-Experten sein müssen, um das zu beantworten, ist der falsche Ansatz.         

Sehen Sie diesen Ansatz in den industriepolitischen Maßnahmen zur Krisenbewältigung realisiert?

Das Paket, das die Politik mit heißer Nadel zusammengestrickt hat, ist zuerst einmal sehr positiv zu bewerten. In den 51 Einzelpunkten sind schon die Korridore zu erkennen, in denen die Maßnahmen wirksam werden können. Bei den Konsumenten kann selbst die Mehrwertsteuersenkung wirken. Die steuerliche Forschungsförderung wurde verdoppelt. Wer vier Millionen Forschungskosten einreicht, kann auf eine Million Steuervorteil rechnen. Das ist auch für die Zusammenarbeit mit den Start-ups sehr wichtig: Ein Teil der Investitionsrisiken für neue Ideen ist über die Forschungsförderung gedeckt. Eine erfreuliche Entwicklung, wenn man bedenkt, wie lange sich die Industrie überhaupt für die Forschungsförderung hat stark machen müssen!  Mit der Wasserstoff-Initiative zusammen ist das ein sehr guter industriepolitischer Impuls. Die Technologieoffenheit bei der Mobilität halte ich übrigens für sehr wichtig. Mit synthetischen Kraftstoffen könnten wir den Lebenszyklus des umweltfreundlichen Verbrennungsmotors um zwanzig Jahre verlängern. Hier kennen wir die Verfahren und müssen jetzt die Skalierung in industriellen Großanlagen beherrschen lernen.

Interview: Hans Gäng

Dr. Gunther Kegel im Global Business Magazine: “Agilität bewahren und weiterentwickeln” (2019)

24.06.2020
von Editorial Team
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