Dr. Holger Engelmann: „Corona hat uns fester zusammengeschweißt”

Dr. Holger Engelmann, Vorstandsvorsitzender Webasto SE, berichtet, wie das Unternehmen die Corona-Krise erlebt und gemeistert hat.

Wie und mit welcher Mentalität haben Sie und die Teams von Webasto die Herausforderung gemeistert, als eines der ersten Unternehmen mit Covid-Infektionen umgehen zu müssen – und das auch noch öffentlich?

Als wir die ersten Coronafälle in Stockdorf hatten, war klar, dass wir sofort handeln müssen. Um die Lage schnell in den Griff zu bekommen, haben wir einen Krisenstab mit alle wichtigen Funktionen zusammengestellt und der Gesundheit unserer Mitarbeiter oberste Priorität eingeräumt.
Wir sind auf die Behörden zugegangen, um die Sachlage zu verstehen. Dann haben wir Vieles parallel gemacht: Kontaktlisten erstellt, Tests organisiert, Reiseregelungen angepasst, Hygienestandards erhöht und alle Mitarbeiter ins Homeoffice geschickt, nachdem wir die Zentrale auf eigene Initiative geschlossen haben.
Unsere Mitarbeiter haben wir über alles auf dem Laufenden gehalten. So konnten sie uns unterstützen und wir ihnen ihre Unsicherheiten nehmen. Gegenüber den Medien waren wir sehr offen. Zu dem Zeitpunkt war noch wenig über das Virus bekannt, wir hatten plötzlich unfreiwillig einen Informationsvorsprung. Es war für uns selbstverständlich, dass wir dieses Wissen mit anderen teilen.

Der Austausch mit den chinesischen Kolleginnen und Kollegen hat geholfen, mit der Ausnahmesituation umzugehen.

Bei meinem Besuch in Chongqing, noch vor einem Jahr, haben die Mitarbeiter von der persönlichen Begegnung und dem Austausch zwischen Niederlassung und dem Headquarter geschwärmt. Hat die Unternehmenskultur unter Covid gelitten?
Wir haben eine starke Unternehmenskultur, die uns in der Coronakrise eine wichtige Orientierung war. Auf Grundlage unserer gemeinsamen Werte haben wir Entscheidungen getroffen und diese aktiv kommuniziert. Gerade zu Beginn hat uns der offene Austausch mit den chinesischen Kolleginnen und Kollegen sehr geholfen, mit der Ausnahmesituation umzugehen. Das hat uns alle noch stärker zusammengeschweißt.
2020 haben wir viele neue Tools eingeführt, damit die Mitarbeiter trotz Mobile Office und Reiseeinschränkungen in Kontakt bleiben und gemeinsam Projekte voranbringen können. Das gilt hauptsächlich für Kollegen, die Bürotätigkeiten haben oder in der Entwicklung arbeiten. Wir haben aber auch Lösungen in anderen Bereichen im Einsatz, zum Beispiel für die Übertragung von Bilddaten aus der Produktion oder zur Online-Steuerung von Prüfständen.
Die Mitarbeiter vermissen natürlich den persönlichen Austausch. Das geht auch mir so. Unsere internationale Teamkultur ist in dieser neuen Situation zwar von Vorteil, aber wir brauchen die physische Präsenz, um vertrauensvolles Miteinander aufzubauen. In der Zukunft werden wir ein integriertes Modell von Präsenz- und Mobilarbeit fahren, wo dies möglich ist.

Zum Markt: Wie werden Sie nach dem rasanten Wachstum in den Vorjahren das Jahr 2020 bilanzieren können? Und wie sind Ihre Erwartungen für das kommende Jahr – und auch an das Wachstumsfeld Elektromobilität?

Der Nachfrageeinbruch 2020 uns hart getroffen – zunächst in China, dann in Europa und den USA. In den letzten Monaten ging es wieder aufwärts. Weltweit hat sich die Automobilproduktion soweit erholt, dass unsere Werke wieder gut ausgelastet sind. Aber wie sich die Abrufe unserer Kunden in den nächsten Monaten entwickeln, hängt vom Pandemiegeschehen und möglichen weiteren Lockdowns ab.
Aktuell haben wir Aufträge für unsere Lösungen für die Elektromobilität in Höhe von rund einer Milliarde Euro. Die Automobilhersteller setzen jetzt verstärkt auf E-Fahrzeug-Modelle und viele Regierungen weltweit unterstützen den Elektromobilitätstrend. Wir sehen hier große Wachstumspotenziale für Webasto.

China ist als größter Einzelmarkt ein „Hub“ für den gesamten asiatischen Markt.

Welche Rolle spielt dabei der chinesische Markt – jetzt und für die Zukunft von Webasto? Hat das neue asiatische Freihandelsabkommens Einfluss darauf, wie Sie den globalen Produktionsverbund von Webasto planen?
Webasto ist in allen wichtigen Automobilmärkten weltweit vertreten, aber China spielt für unser Geschäft eine besondere Rolle: als größter Einzelmarkt mit einem Anteil von mittlerweile mehr als einem Drittel unseres Umsatzes, und als „Hub“ für den gesamten asiatischen Markt.
In Asien war Webasto in den vergangenen Jahrzehnten vor allem mit Autodächern erfolgreich. Inzwischen sind wir dort auch mit elektrischen Heizsystemen, Ladelösungen und Batterien gestartet und sehen gute Zukunftsperspektiven im Bereich Elektromobilität.
Die neue asiatische Freihandelszone sehen wir als große Chance für den weiteren Ausbau unserer Aktivitäten in Asien. Aktuell produzieren wir in China, Japan, Südkorea und Indien für die Märkte vor Ort und kaufen dafür auch die Zulieferteile in der Weltregion ein.

Und wann fliegen Sie dann das nächste Mal nach China oder Asien, Herr Dr. Engelmann?
Ich war zuletzt Mitte Januar 2020 in China, bei der Eröffnung unseres Werkes in Jiaxing. Seitdem halte ich mich an die für alle Mitarbeiter geltenden Reiserestriktionen. Die sehen vor, dass nicht dringend notwendige Geschäftsreisen vermieden werden. Ich hoffe, dass sich die Lage bis zum Frühjahr entspannt, sodass ich im April 2021 zur  Auto Shanghai fliegen kann.

 

20.04.2021
von Editorial Team
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