Dr. Volker Treier:  “Internationalisierung macht Deutschlands Industrie resilient”

Dr. Volker Treier, Außenwirtschaftschef und Mitglied der Hauptgeschäftsführung der DIHK, im Gespräch über China – damit also auch über Diversifizierung, De-Risking und die DNA der deutschen Exportwirtschaft. 

Herr Dr. Treier, Sie sind viel in Sachen Diversifizierung der Exportmärkte unterwegs. Wo waren Sie letzte Woche?

Ich komme gerade von der Afrika-Konferenz in Nairobi, an der 900 Leute teilgenommen haben. Thomas Schäfer, Vorstand bei VW, ist Vorsitzender dieser von der DIHK koordinierten Regionalinitiative. Die AHK-Kolleginnen und -Kollegen um Monika Erhardt, die das in vor Ort perfekt organisiert haben, mussten die Bewerbungsliste kappen. Es waren im Übrigen sehr gute Formate und Diskussionen. Zwar haben wir als DIHK eine sehr viel bessere Abdeckung des afrikanischen Kontinents, aber es bleibt noch sehr viel zu tun. Die Logistik wird mit der Integration der Märkte noch mitwachsen müssen. Die Konferenz in Nairobi zeigt, dass die deutsche Wirtschaft Afrika ernster nimmt. Damit wurde auch in der Diskussion um die Diversifizierung der Märkte ein ermutigendes Zeichen gesetzt. 

Keiner der deutschen Exportmärkte macht mehr als zehn Prozent aus. Wir waren und sind diversifiziert.

Also ist das deutsche Exportmodell doch noch nicht so obsolet, wie das in vielen Kommentaren der letzten Monate zu lesen war?

Absolut nicht. Es ist ein unzulässiges Zerrbild, dass wir vom billigen Gas aus Russland gelebt hätten und nur China unsere Exporte abgenommen hätte. Selbst als wir 50 Prozent unserer Energie aus Russland bezogen haben, waren die Energieversorgung und der Gaspreis nachweislich deutlich teurer als in den USA. Das zweite Zerrbild ist China: Wir importieren mehr aus China als wir exportieren. China hat als Absatzmarkt nach Covid an Schwung verloren und ist nurmehr unser dritt- oder viertwichtigster Absatzmarkt, übrigens mit nur geringem Abstand zu den nächstfolgenden Märkten. Keiner der deutschen Exportmärkte macht mehr als zehn Prozent aus. Wir waren und sind diversifiziert – wenn Sie das einmal mit den Abhängigkeiten der Nachbarn der USA vergleichen.  Und wenn wir ehrlich über den chinesischen Exportüberschuss reden, muss man auch einmal an unseren ambitionierten Zeitplan für die Klimaneutralität und für die Energiewende erinnern. Das bedeutet eben auch, dass wir Batterietechnologie, Solarmodule, bei der Windenergie aus China noch eine Zeit lang werden importieren müssen. 

Was ist denn aus dem De-Risking geworden, über das so viel diskutiert wird?

China ist ein komplexer und großer Markt, der sich die letzten 25 Jahre enorm entwickelt hat. Das Land hat sich von einer verlängerten Werkbank zu einem Konkurrenten, Rivalen entwickelt. Ich rede bewusst nicht von Systemrivalität – das sollen andere machen. Natürlich ist es gut, dass wir den Einkauf strategisch relevanter Rohstoffe und von deren Produkten in der Weiterverarbeitung möglichst diversifizieren. Das ist aber auch eine staatliche Aufgabe, kollektiv Vorsorge zu betreiben. Geopolitische Ereignisse können ja den Gesundheitssektor, die Energieversorgung und auch die digitale Welt betreffen. Das kann man nicht allein den Unternehmen aufbürden und eine Regulierungsmaschinerie aufbauen. Diese entlang ihrer gesamten Lieferkette berücksichtigen zu müssen, macht es den Firmen schwer, zu konkurrenzfähigen Endproduktpreisen anzubieten. Zudem gibt es heute häufig oft nur ganz wenige Lieferanten, die nicht aus China kommen.

Es wäre notwendig gewesen, mit China über Investitionsbedingungen zu verhandeln

Angesichts der Größe des Markts wäre es auch notwendig gewesen, mit China über Investitionsbedingungen zu verhandeln. Das, was wir hier allen, auch den Chinesen, an Bedingungen geboten haben, hätte man durch ein Abkommen auch in China verbessern können: Joint Ventures in gewisse Sektoren wie zum Beispiel im Finanzwesen. Aber man ist den ökonomischen Notwendigkeiten zum Trotz in die Diskussion um das De-Coupling eingestiegen. Am Ende sind wir jetzt froh, dass im öffentlichen Raum nur noch der Begriff De-Risking übriggeblieben ist. 

Wir haben übrigens sehr lange schon für neue Freihandelsabkommen geworben. Wenn da politisch nichts an Unterstützung kommt, kann eben kaum in der Breite diversifiziert werden. Der Abschluss des Mercosur-Abkommens markiert einen wichtigen Schritt, auch wenn die Verhandlungen über 25 Jahre in Anspruch genommen haben. Ein Abkommen wie TTIP hätte unter der Präsidentschaft von Obama eine große Chance geboten, um transatlantische Handelsbeziehungen zu stärken – ein Potenzial, das heute oft bedauert wird. Gleichzeitig konnten auch andere wichtige Handelsabkommen, wie mit Australien, Indonesien oder Indien, bisher nicht finalisiert werden. In diesem Zusammenhang stehen Unternehmen vor der Herausforderung, die Abhängigkeiten auf internationalen Märkten, insbesondere mit China, kritisch zu reflektieren und langfristig zu reduzieren.

Investitionen nach China nehmen sogar zu, Unternehmen argumentieren einfach mit dem Volumen des Marktes, der absolut um mehr wächst als das Bruttosozialprodukt ganzer Volkswirtschaften in der Region.   

Das ist genau so, wie Sie sagen. Das gesamte Handelsvolumen mit Indien, das mittlerweile sogar mehr Bevölkerung zählt als China, ist ein Zehntel des Handels mit China. In der Automobilindustrie ist das noch weniger. Und auch Indien schützt seine Märkte. China wird strukturell noch über Jahrzehnte hinaus ein wichtiger Markt bleiben. Anstatt das Land also permanent negativ darzustellen und seine Probleme zu kommentieren, haben wir eigene Schwachstellen, über die wir in Deutschland diskutieren sollten. Wir sind, diplomatisch formuliert, viel zu sehr mit ideologischen Pinselstrichen beschäftigt. Der ganze Kanon der Berichtspflichten geht in Europa mit dem Nachhaltigkeitsnachweis weit über das deutsche Lieferketten-Sorgfaltspflichten-Gesetz hinaus – bis hin zu importierten Schrauben für ab 150 Euro, für die man einen Nachweis braucht.

Wie ist denn die Sicht der Unternehmen auf China?

Der frühere BASF-Chef Martin Brudermüller hat auf unserer AHK-Weltkonferenz 2022 einmal vorgerechnet, dass das Unternehmen grob 40 Prozent der Wertschöpfung in Europa tätigt, was aber nicht einmal 20 Prozent des Gesamtchemiemarktes weltweit darstellt. In China ist es aber genau umgekehrt. De-Risking heißt dann betriebswirtschaftlich aus Sicht eines solchen Unternehmens, in China mehr Wertschöpfung zu haben!  

De-Risking kann betriebswirtschaftlich auch heißen, in China mehr Wertschöpfung zu haben.

Es gibt Unternehmen, die durch ihr erfolgreiches Geschäft in China und die dort erzielten höheren Gewinnmargen die Entwicklung in anderen Geschäftsbereichen finanzieren können. Firmen schauen auch darauf, ob es für sie existenzgefährdend wäre, wenn das Chinageschäft wegfiele. Es kommt in Deutschland jetzt ein wenig mehr Realismus in diese Diskussion. Wir haben die schlechteste Wachstumsperformance unter allen 38 OECD-Mitgliedern – mit den gleichen Unternehmen, mit denen wir vor fünf, sechs Jahren an der Spitze waren. Statt der Diskussion über China geht es jetzt vielfach um das Überleben von Industrieunternehmen, von denen uns 30 Prozent in einer Umfrage sagen, dass sie aus Gründen der Energieversorgung und -preise zumindest in Teilen das Land verlassen und Produktion woanders aufbauen wollen. 

Heißt das nicht: Internationalisierung bleibt auch in schwierigen Zeiten eine notwendige Strategie?

Ja, die Internationalisierung der Industrie hat Deutschland resilient gemacht. Dass fast jedes Unternehmen aus der Industrie – die Großunternehmen sowieso – Märkte erschlossen, Produktion vor Ort aufgebaut und dort investiert haben – das hat unserer Wertschöpfung doch eine gewisse Robustheit gegeben. Wir haben resilientere und variablere Lieferketten. Durch die Investition im Ausland, historisch auch im nahen europäischen Ausland, haben auch Mittelständler robustere Wertschöpfungsketten aufbauen und lange Jahre gegen alle Krisen wachsen können. Das ist etwas anderes als ein “gescheitertes” Exportmodell.

Das Gespräch fand Mitte Dezember statt. Die DIHK ist seit vielen Jahren Partner der HANNOVER MESSE und wird dort im Breich Trade & Invest auch 2025 mit zahlreichen Auslandshandelskammern präsent sein.  Das Interview erscheint neben vielen anderen auch im Jahresbericht der CIIPA. 

06.02.2025
von Editorial Team
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