Prof. Hermann Simon: „Technologie wird Standortfaktor”

Prof. Hermann Simon plädiert dafür, einen Blick auf langfristige Entwicklungen zu bewahren. Hidden Champions aus China und Deutschland sieht er vor unterschiedliche Aufgaben gestellt.

Herr Professor Simon, wie kommen Sie damit zurecht, dass Sie dieses Jahr nicht nach China reisen konnten?

Ich vermisse das Gefühl schon sehr, wenn man aus China zurückkommt und den Kopf voller neuer Eindrücke und Ideen hat…

Wir haben vor einiger Zeit über die Globalisierung gesprochen. Sind deren “Gesetze” durch die Corona-Krise weniger gültig?

Ich weiß es ehrlich nicht, auch nicht nach der Lektüre von Hunderten von Aufsätzen von Leuten, die schon ganz genau wissen, wie die Welt nach Corona weitergeht. Ein kurzer Blick in die ganz langfristigen Zahlen: In der Zeit von 1990 bis 2010 wuchsen die globalen Exporte doppelt so schnell wie das globale Inlandsprodukt. Dieses Verhältnis, das manche Hyperglobalisierung nennen, hat sich bereits nach der Finanzkrise verändert. Der globale Warenaustausch wächst seit 2014 langsamer als das globale Inlandsprodukt. Ich glaube, Corona treibt diesen Prozess eher voran. Auch sind die Dienstleistungsexporte in Relation zum Warenexport sehr stark gewachsen. Hier spielen auch neue Technologien eine Rolle, denn Daten sind leichter zu transportieren als Waren. Direktinvestitionen haben trotz aller Volatilität an den Kapitalmärkten einen starken, langfristigen Aufwärtstrend. Handelsbarrieren werden möglicherweise stärker durch Direktinvestitionen überwunden.

Welche Entwicklung erwarten Sie bei den Direktinvestitionen zwischen Deutschland und China?

Auch hier ein paar Zahlen: 53 Prozent aller deutschen Hidden Champions sind in China vertreten, 60 Prozent davon mit einer Produktion, das heißt: 32 Prozent aller deutschen Hidden Champions fertigen also schon in China. Dieser Anteil wird noch stark steigen. Vor allem aber wird Zahl chinesischer Investitionen steigen. Es wird also bald mehr chinesische Fabriken in Deutschland geben als die wenigen, jetzt bekannt gewordenen. Chinas Automobilzulieferer formulieren klar, dass sie nur in einer Fertigung in Deutschland eine Chance auf Zugang zu den großen Herstellern hier sehen. Das können sie teilweise durch Übernahmen erreichen, es werden aber auch neue Fabriken gebaut werden. Gerade die Batteriefertigung muss dort sein, wo die Autos hergestellt werden, auch wenn bislang nahezu 80 Prozent aller Batterien noch in China produziert werden. Das ist kein Dauerzustand.

Chinesische Unternehmen werden also stärker im Ausland aktiv werden…

Bei der Internationalisierung sind die chinesischen Hidden Champions noch weit zurückgeblieben, sie haben weit weniger Tochtergesellschaften im Ausland als die deutschen Hidden Champions. Bei der Auslandsproduktion stehen die Hidden Champions aus China da, wo die deutschen vor 15, vielleicht 20 Jahren standen. Zwei widersprüchliche Zahlenpaare machen das deutlich: 8500 deutsche Unternehmen sind in China präsent und 4000 chinesische Unternehmen in Deutschland. Es gibt 2000 Fabriken deutscher Unternehmen in China, aber ich zähle derzeit ganze zwei Fabriken chinesischer Provenienz in Deutschland! Ich rechne damit, dass es in zehn oder zwanzig Jahren hunderte von chinesischen Fabriken in Deutschland gibt.

Kann man Hidden Champions aus Deutschland mit denen aus China überhaupt vergleichen?

Die chinesischen Firmen aber wachsen schneller und investieren relativ auf die Kopfzahl gerechnet mehr in Forschung und Entwicklung. Das ist möglich, weil sie schneller an die Börse gehen und sich einen größeren Zugriff auf Kapitalreserven sichern. Die deutschen, oft familiengeführten Unternehmen wachsen kontinuierlich, aber eben langsamer. Die Öffnung zum Kapitalmarkt steht hier deswegen auf der Tagesordnung. Schon zehn Prozent der Hidden Champions sind an der Börse, weitere haben sich über Private Equity, Beteiligungen und Übernahmen aus den bisherigen Beschränkungen herausgelöst. Dabei spielen die Amerikaner übrigens eine weit aktivere Rolle als die Chinesen. 61 Prozent aller US-Direktinvestitionen gehen nach Europa. Aber wenn es nicht gerade Tesla ist, das bei einem Unternehmen einsteigt, wird das in den Nachrichten kaum vermerkt, während eine chinesische Beteiligung immer noch ganz anders ausgeleuchtet wird.

Wo sehen Sie die Kooperationspotenziale, wo die Chancen deutscher Hidden Champions in China?

Globalisierung heißt, unternehmerische Aktivitäten dort zu planen, wo sie mit bestem Ergebnis realisiert werden. Das gilt auch für China, wo in der Vergangenheit zwei Dinge wichtig waren: Kosten und Zielmarkt. Nun kommt aber aktuell und auch in Zukunft ein ganz neuer und wichtiger Faktor dazu – die Technologie. Sie wird also ganz entscheidender Standortfaktor. Im Eisenbahnwesen, bei Künstlicher Intelligenz – und wenn man die Planungen für China 2025 sieht – wird das Land noch in einigen weiteren Bereichen technologisch führend sein. Hier muss ich als Hidden Champion dabei sein, als Zulieferer, als integrierter Bestandteil der Ökosysteme, die dort neu entstehen. Denn sonst verliere ich den Anschluss und werde auch im Rest der Welt nicht mehr wettbewerbsfähig sein. Übrigens gilt das genau umgekehrt für die Chinesen, beispielsweise für die chinesischen Automobilhersteller, die alle auch Design Centers in Deutschland haben.

Und schafft das eine Abhängigkeit von China, wie derzeit viele behaupten?

Jeder Unternehmer, jeder Hidden Champion hat die Freiheit zu entscheiden, ob er in China Geschäfte machen will oder nicht, wie er die Beschäftigung in seinen deutschen Werken sichert. Auf der Ebene der Handelspolitik muss natürlich alles getan werden, um ein level playing field mit China zu erreichen. Ich zitiere in dieser Diskussion übrigens gerne Prof. Clemens Fuest: Der wichtigste Faktor, um Erpressbarkeit zu vermeiden sei immer noch wechselseitige Abhängigkeit. Auch für China ist der Zugang zum europäischen Markt wichtig, ebenso, dass es kritische Produkte aus Europa importieren kann. Für Hidden Champions aus Europa ist China unverzichtbar und für Hidden Champions aus China ist Europa genauso unverzichtbar.

Als Hidden Champion muss man zum integrierten Bestandteil der Ökosysteme werden, die neu entstehen.

23.04.2021
von Luca Wodtke
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