Der Osthandels-Experte Ulf Schneider im Gespräch über die aktuellen Entwicklungen und Perspektiven für deutsche Firmen

Herr Schneider, seit unserem letzten Gespräch ist viel passiert. Wie haben Sie denn die letzten Jahre verbracht?


Schneider: Bereits während der Pandemie war ich häufig an meinem Wohnsitz in Moskau. Die danach gekommenen Einschränkungen des Flugverkehrs haben mich stark getroffen als jemanden, der sehr weltoffen ist, gerne reist und Gespräche mit Menschen führt. Dennoch habe ich die Zeit für etwas ganz Besonderes genutzt — eine bezaubernde Moskauerin geheiratet, mit der wir mittlerweile ein anderthalb Jahre alten fantastischen Sohn haben! Abgesehen von diesem wunderbaren privaten Ereignis ist die heutige Zeit äußerst schwer, es ist eine wahre Tragödie. Meine Gedanken sind jeden Tag bei den Familien meiner Kollegen und bei allen Menschen, die in der Ukraine leiden. Unser Büro in Kiew funktioniert weiterhin, wir haben sehr gute engagierte Mitarbeiter, die alle Gott sei Dank wohlauf sind. Wir haben in Kiew keinen einzigen Kunden verloren. Mich trifft die ganze Entwicklung mental sehr hart. Als sehr überzeugter Europäer bin ich schon als Student vor 30 Jahren mit Plakaten gegen die Abschottung, für eine gesamteuropäische Währung, für den Binnenmarkt auf die Straße gegangen.  Die Vision, die ich schon damals vor Augen hatte, war ein gemeinsamer Wirtschaftsraum von Lissabon bis Wladiwostok. Jetzt, Jahrzehnte später, sind wir an einem Punkt angelangt, wo man viel Kreativität, Ausdauer und starke Nerven braucht, um in dieser Zeit durchzukommen.

Die Nervenstärke — wie sah die bei Ihren Kunden, den deutschen Unternehmen, aus? Wie laufen Entscheidungen und Prozesse in einer solchen Krisensituation ab?

 

Oft gibt es keine einfachen Antworten, weil die Umstände sich manchmal jeden Monat, jede Woche oder jeden Tag auch ändern können. Zunächst hielt man in den Unternehmen den Atem an, man wusste eigentlich gar nicht, was passiert. Auch ich habe am Morgen des 24. Februar 2022, als mein Kollege aus Kiew mir schrieb, noch nicht glauben wollen, was geschehen ist. Viele Unternehmen, die ich in Russland kenne, waren zunächst einmal der Meinung, dass sie im Sinne der Verständigung und der aufgebauten unternehmerischen Kontakte ihr Geschäft nicht aufgeben sollten. Sie haben sich dann aber doch umentschieden — in vielen Fällen einfach aufgrund des öffentlichen Druckes. Das hat sich im Sommer 2022 ein wenig geändert als dieser Druck etwas nachgelassen hat. Es wurden dann wieder häufiger Entscheidungen getroffen, die unternehmerisch und betriebswirtschaftlich bedingt waren. In den Medien lesen wir allerdings häufiger von den Unternehmen, die Russland verlassen haben. Man darf sich aber nicht täuschen lassen: die Mehrzahl der deutschen Firmen ist in Russland geblieben. Oft mit einem geringeren Engagement, was manchmal an den Sanktionen und teilweise an den logistischen Einschränkungen liegt, die sich aber inzwischen wieder normalisiert haben. Zum Teil liegt es aber daran, dass der Zahlungsverkehr nicht mehr richtig funktioniert, obwohl die Waren und die Geschäftspartner selbst nicht sanktioniert sind. Das sind die Fragestellungen, mit denen man sich in letzter Zeit auseinandersetzen musste. Ich habe den Eindruck, dass wir im Moment an einer Weggabelung stehen, wo in den nächsten Monaten viele westliche Unternehmen in Russland nochmal für sich neu überlegen müssen, wo der Weg lang geht. Die Sanktionsgesetzgebung wird mit den bevorstehenden weiteren Paketen das unternehmerische Schaffen in Russland weiterhin deutlich einschränken. Es hängt vieles davon ab, wie sich die großen, westlichen Banken in Russland verhalten werden, insbesondere die Raiffeisenbank, aber auch die UniCredit. Wenn diese Bankinstitutionen ihre Arbeit in Russland einstellen, würde dies eine Kettenreaktion unter den Unternehmen, die aktuell in Russland tätig sind, zur Folge haben.

Ist denn der Verkauf von Assets in Russland eine Perspektive? Sind solche Transaktionen in diesem Kontext überhaupt abwickelbar? Sind überhaupt Käufer da? 

 

Schneider: Über eine gewisse Zeit war der Management-Buy-out die bevorzugte Variante. Ein bekannter Fall ist Kühne + Nagel, der an den deutschen Generaldirektor in Russland verkauft hat und das Unternehmen nachher umbenannt wurde. Es gibt auch verschiedene Beispiele von Unternehmen, die an institutionelle Investoren verkauft haben. Diese sind sehr daran interessiert, westliche Unternehmen inklusive der dahinterstehenden Technologie für Russland zu übernehmen. Hier stellen sich in der Tat viele schwierige juristische, aber auch technische Fragen. Eine natürlich sehr schwierige Entscheidung des jeden Shareholders im Westen ist der Marktwert, den man erwarten kann. Ein großer Technologiekonzern zum Beispiel hat den Vertrag aufgelöst und das Know-How in einem großen Umfang an einen russischen Staatskonzern übertragen.

Ich frage mich aber, ob das sinnvoll ist, Know-how zu übertragen, nur um den Markt verlassen zu können.  

 Insgesamt frage ich mich, ob das sinnvoll ist, das Know-how zu übertragen, nur um den Markt verlassen zu können. Eine weitere wichtige Beobachtung: der Einfluss Chinas und auch der Türkei nimmt hier vor Ort deutlich zu – das sieht man nicht nur an den neuen chinesischen Autos. Übrigens die Firmen, die in Russland bleiben und versuchen, ihr Geschäft fortzuführen, finden ein relativ gutes Klima bei den staatlichen Stellen vor, sofern diese den Willen spüren, dass man als Ausländer im Land geschäftlich tätig sein will.

Welche Rolle spielt Zentralasien für die SCHNEIDER GROUP und für Ihre Kunden?

In der Tat ist Zentralasien, vor allem Kasachstan und Usbekistan, stark in den Fokus insbesondere derjenigen Investoren geraten, die sich bisher in Russland unternehmerisch engagiert haben. Ich treffe in der Region auf viele deutsche Manager, die ich in der Vergangenheit in Moskau gesehen habe. Gleichzeitig sehe ich, dass Zentralasien mit dem Südkaukasus, sprich Aserbaidschan, Georgien, Armenien zu einer transkaspischen Region zusammenwächst. Diese Länder können daran anknüpfen, was vor dreißig Jahren mit den asiatischen Tigerstaaten begann. Ich traue den eurasischen Tigern in Zentralasien und im Südkaukasus eine solche Erfolgsstory zu!  In der gesamten Region wohnen über 70 Millionen Menschen, die stark aufstrebenden Länder sind für den Produktionsaufbau sehr gut geeignet sind, vor allem Usbekistan, aber auch Kasachstan. Eine Region, die zwar geostrategisch einen Reibungspunkt darstellen kann, die aber auf der anderen Seite in alle Himmelsrichtungen gute Beziehungen im Sinne der „multi-vector foreign policy“ pflegt. Zu China — über die Entwicklung der neuen Seitenstraße Richtung Europa, zu Russland als weiterhin einem der größten Handelspartner. Aber auch die Europäische Union und die USA bauen ihre wirtschaftlichen Beziehungen zu diesen Ländern aus. Diese transkaspischen Länder werden bestimmte Reformen ihrer Wirtschafts- und vor allem Finanzsysteme forcieren und auch an der Rechtssicherheit weiterhin arbeiten müssen, damit sie als eurasische Tigerstaaten Erfolg haben.

Sie sind also trotz der sehr schwierigen Situation verhalten optimistisch und vor allem unternehmungslustig?

Als Unternehmer muss ich mit meinen Entscheidungen auf die ganzen Entwicklungen reagieren.  Ich habe meine Firma vor genau 20 Jahren in Moskau gegründet. Wir gingen dann nach Sankt Petersburg und Kiew. Danach sind schrittweise die Niederlassungen in praktisch allen umliegenden Ländern dazu gekommen. Darüber bin ich heute sehr froh. Ich habe in den letzten Monaten nun vier weitere Büros eröffnet, wir werden weiter wachsen, um in Zentralasien und im Südkaukasus flächendeckend vertreten zu sein. Auch in den baltischen Staaten wird es weitere Büros geben. Und ich glaube auch, dass der westliche Balkan eine neue, interessante Region sein wird. Ich habe mir Serbien ein paar Mal angeschaut als eine Nearshoring-Option für die Unternehmen, die im Ausland Produktionen aufbauen wollen. Nordmazedonien wäre ein weiterer kostengünstiger und aufstrebender Standort. Das sind alles Regionen und Länder, wo wir als SCHNEIDER GROUP neue Akzente setzen werden. Unser großer aktueller Schwerpunkt sind momentan die Länder Zentralasiens und der südliche Kaukasus, die ich wie gesagt für die eurasischen Tigerstaaten halte. 

 

Ulf Schneider

Ulf Schneider

Managing Partner and Founder, SCHNEIDER GROUP

https://schneider-group.com/

Contact: Office Berlin Ritterstrasse, 2 B, Berlin, 10969, Germany

Tel.: +49 30 615 089 10

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