Olaf Koch: „Digitales B2B verlangt Leidenschaft”

Für den ehemaligen METRO-CEO Olaf Koch, der einst selbst als digitaler Gründer gestartet ist, ist Leidenschaft der Schlüssel zu neuen digitalen Partnerschaften. 

Herr Koch, ist denn das Gründen heute so viel leichter geworden als früher? Sie haben einst ja selbst ein kleines digitales Unternehmen gegründet…

Ja, das Gründen ist leichter geworden. Wir haben heute eine ganz andere Akzeptanz für Innovationen und finanzielle Mittel stehen deutlich besser zur Verfügung. Auch die Affinität für Technologie ist deutlich höher. In den frühen 90ern war es noch das Privileg großer Konzerne, Computer einzusetzen und Rechenzentren zu betreiben. Erst mit dem Siegeszug der Personal Computer und deren Vernetzung änderte sich das. Das war auch die Zeit, in der ich mein eigenes Unternehmen gegründet habe, um vernetzte Applikationen zu entwickeln. Die Rahmenbedingungen waren nicht einfach. Ich erinnere mich gut, dass ein zinsloses Förderdarlehen abgelehnt wurde, weil ich die Gesellschaft schon vor der Antragstellung gegründet hatte.Venture Capital stand in Deutschland bestenfalls noch in den Kinderschuhen. Heute sind Risikokapital und Investitionsbereitschaft da und es gibt eine enorme Innovationskraft im Land.

Selbst gründen oder lieber große Dinge in einem innovativen Konzern bewegen – eine persönliche Alternative, die sich Pionieren aber immer noch stellt…

Es gab da eine Evolution. In der überhitzten Dotcom-Euphorie warst du als Gründer ein Superheld. Als die Bubble platzte, war das plötzlich nicht mehr schick.

Gründen wurde mit Geld verlieren gleichgesetzt. Im Gegensatz zu den USA hat es in Deutschland ein paar Jahre gedauert bis die Gründungsdynamik wieder einsetzte. Aus meiner Sicht ist diese aber deutlich realistischer, viel professioneller, ohne die romantische Illusion von der großen Freiheit. Gründer arbeiten sieben Tage in der Woche. Stressfrei ist es nicht, wenn es um die eigene Existenz geht. Es ist darum ja nicht unattraktiv, in einem tollen Unternehmen zu starten, bei dem man seinen Talente und Fähigkeiten aktiv einbringen kann. Der bessere Weg hängt unter anderem von der eigenen Lebensplanung ab, von der gewünschten Work-Life-Balance und von der Risikobereitschaft.

Das gilt erst recht für den Hospitality-Sektor, wo die Gründer aber noch stärker analog geprägt sind. Was ist Ihr Antrieb, hier die Digitalisierung voranzubringen?

Wir haben unser Geschäftsmodell im Großhandel über die letzten Jahre fundamental neu ausgerichtet. Kern unserer Strategie ist, zum Erfolg von unabhängigen Unternehmern in der Gastronomie beizutragen. Dazu müssen wir maßgeschneiderte Sortimente anbieten, Lösungen bereitstellen und unsere Stores und die Belieferung vollumfänglich auf den Kunden ausrichten. Dabei kommen wir immer besser voran, was sich auch in der Umsatzentwicklung mit diesen Zielgruppen wiederspiegelt. Wir wachsen seit fünf Jahren kontinuierlich und progressiv.

Für unsere Teams ist der Ansporn enorm, denn wir leisten einen Beitrag für die Unternehmer, deren Familien, Kunden und für die Vielfalt in der Branche.

So weit so gut, aber wir fragen uns täglich, was wir noch tun können, um Kunden zu unterstützen. Und da kommt die Digitalisierung ins Spiel. Seit 2014 gehen wir der Frage nach, wie man durch innovative Lösungen den wirtschaftlichen Erfolg unserer Kunden weiter ausbauen kann. Wir sind dabei auf ein sehr breites Spektrum an Chancen gestoßen. Das fängt bei der Kundenansprache und Vermarktung an, geht über die Serviceprozesse bis hin zu Aufgaben in der Verwaltung. Allerdings werden sie bislang nur selten genutzt. Das versetzt den unabhängigen Gastronomen in eine starke Benachteiligung gegenüber der Systemgastronomie, in der viele Funktionen und Prozesse optimiert und digitalisiert sind. Die selbständige Gastronomie ist häufig abhängig vom Unternehmer, der oft mit unglaublicher Leidenschaft und Einsatz an die Sache geht. Das macht ja auch den Charme und die Seele dieser Branche aus. Häufig fehlt es aber an kommerzieller Präzision oder gar an der Nutzung von technischen Hilfsmitteln. Das Potenzial ist allerdings gewaltig. Unsere Schlussfolgerung: Wir können diesen passionierten Unternehmer noch mehr Unterstützung bereitstellen, wenn wir ihnen das Spektrum an Möglichkeiten einfach und partnerschaftlich zugänglich machen.

Und wie sieht so ein Screening von möglichen Technologien und Scouting von Innovationspartnern aus?

Wir haben jetzt einige spannende Jahre hinter uns. Das war kein Prozess, der geradlinig und vordefiniert war. Es gab und gibt keine strategische Beratung, die uns genau mitgeben konnte, was zu tun ist. Wir hatten zuerst lediglich eine kleine Expeditionsmannschaft, eine Unit mit zwei Handvoll Leuten, die sich international umgeschaut haben, wie ein digitaler Mehrwert für unsere Kunden geschaffen werden kann. Zu Beginn haben wir auch vereinzelt in frühphasige Start-ups investiert. Das war gut gemeint aber nicht wirklich effektiv. Junge Start-ups sind de facto nicht kompatibel mit einem Konzern, weder von der tagtäglichen Agenda noch von der Risikoabwägung und nicht mal von der Sprache. Hinzu kommt, dass die Größenordnung der Aufgaben nicht zusammenpassen. Dennoch wollten wir unseren Radius ausweiten und die Kreativität und Innovationskraft für die Gastronomie systematischer erschließen. Daher haben wir uns mit Techstars zusammengetan: Wir mit Kundenzugang und dem Anspruch, ‚Champion for Independent Business‘ zu sein. Und Techstars, ein erfahrener Champion für Start-ups, der das Know-how für die Entwicklung junger Unternehmen hat. Allein durch hunderte von Bewerbungen für unsere gemeinsamen Accelerator-Programme haben wir unglaublich viele Innovationsimpulse gegeben. Die Zusammenarbeit mit den Teilnehmern der Programme hat es uns ermöglicht, vielen dabei zu helfen, ihre Ideen zum Leben zu erwecken. Und wir haben gemerkt, dass unsere Kunden sich der Thematik immer weiter öffnen. Das hat uns unglaublich beflügelt…

Wir können den Arbeitsaufwand der Gastronomen für die Verwaltung dramatisch reduzieren, die Kosten deutlich senken und systematisch Deckungsbeiträge erhöhen.

Und was waren dann die ersten Schritte im Markt, um die Kunden für die Digitalisierung zu gewinnen und daraus eine Wachstumsperspektive zu entwickeln?

2017 haben wir im Rahmen des sogenannten METROpolitan Pilot Programms ausgewählte Start-ups und Scale-ups begleitet und sie mit ihren digitalen Produkten in den Markt eingeführt. In Berlin, Paris, Mailand, Wien und Barcelona haben wir 500 Restaurants als Pilotkunden gewonnen und ihnen auf unsere Rechnung bei der Implementierung von digitalen Lösungen geholfen. Wichtig war für uns die kritische Reflektion: Wie macht man das Geschäft der Kunden wirklich besser – vom Einkaufsprozess, über die Kasse bis zur Personalplanung und -abrechnung. Heute können wir den Arbeitsaufwand der Gastronomen für die Verwaltung dramatisch reduzieren, die Kosten deutlich senken und systematisch Deckungsbeiträge erhöhen. Wir wissen also heute genau, was das Potenzial unserer Kunden ist. Das sind 1,8 Millionen unabhängige Gastronomen in Europa mit einem Außenumsatz von ungefähr 420 Milliarden Euro, die ein relevantes Einkaufsvolumen von 120 Milliarden Euro für Food und Non-Food haben.

Ein gewaltiges Potenzial, aber Digitalisierung können die Kunden ja nicht einfach im METRO-Markt mitnehmen…

In unserer Branche kann man Technologie nicht systemisch, sondern nur inklusiv einführen. Es geht nur durch Kollaboration, über die der kleine Unternehmer den nachhaltigen Vorteil auch in seinen Zahlen erkennt. METRO ist kein karitatives Unternehmen. Nur wenn wir den Kunden einen Mehrwert verschaffen, können wir dafür einen Preis verlangen. Und im Dialog selbst unsere Kundenbeziehung ausbauen.

Wie sieht dieser aus?

Der Aufwand für Technologieunternehmen, sei es ein Start-up oder ein Konzern, individuelle Lösungen zum Kunden zu bringen, ist enorm. Die Kundenakquisitionskosten gehen durch die Decke. Wir haben gelernt, dass wir das anders machen müssen – über Plattformen, für die METRO im Markt die Glaubwürdigkeit und Reichweite besitzt wie kein anderer. Daher haben wir 2018 auch die Online-Plattform DISH ins Leben gerufen. Diese steht für Digital Innovations and Solutions for Hospitality und bietet Gastronomen unter anderem einen Zugang zu digitalen Tools: Eine Internetpräsenz, die ein Gastronom in 15 Minuten mit dem Smartphone erstellen kann und mit ein paar Klicks mit Google Maps, Social Media und Suchmaschineneinträge bedient, bieten wir kostenlos an. Unsere Grenzkosten dafür bewegen sich im Cent-Bereich pro Account. Mehr als 140.000 Betriebe in 14 Ländern nutzen dieses Angebot seit dem Rollout Anfang 2018 – damit haben wir in der analogen Branche ein Zeichen gesetzt. Digitalisierung ist möglich.

Und wo ist das Business für die METRO?

Es gibt eine eindeutige Nagelprobe für den Erfolg: Enthält unser Angebot einen so nachhaltigen Mehrwert, dass unsere Geschäftsbeziehung auf ein neues Niveau gehoben wird? Wenn wir über ein Werkzeug wie MenuKit einem Pilotkunden eine völlig neue Kalkulation seiner Speisekarte und damit die Steigerung seines Deckungsbeitrags um circa 25 Prozent ermöglichen, haben wir einen Mehrwert mit zwei fast unbezahlbaren Komponenten: Technologie und unternehmerische Kompetenz. Diese intensivere Geschäftsbeziehung – das ist es, worauf wir unser Vertriebssystem neu ausrichten.

Wie offen muss die METRO als Technologiepartner dabei sein?

Wir folgen einem wichtigen Grundsatz von Ökosystemen: Wir sind eine offene Plattform, übrigens nicht nur begrenzt auf METRO-Kunden und METRO-Technologie. Wir geben auch Drittanbietern die Gelegenheit, ihre digitalen Lösungen über DISH zu vertreiben. Je erfolgreicher die Anwendungen, die wir auf unsere Plattform bringen, desto besser für uns alle. Wir haben sehr gute Erfahrungen mit den Innovationspartnern. Innerhalb der METRO haben wir die Tochtergesellschaft Hospitality Digital aufgebaut, die sich mit Leidenschaft für diese Branche engagiert und mit Technologie etwas verändern will. In diesem Umfeld muss ich Freiheit und Flexibilität erzeugen, das kann ich nicht in der Logik eines Großkonzerns. Das Gleiche gilt auch für unseren künftigen Online-Marktplatz für Gastronomen. METRO selbst betreibt schon seit mehreren Jahren eigene Online-Shops. Mit dem Team von METRO MARKETS gehen wir künftig einen großen Schritt weiter, wir entwickeln uns zum Online-Marktplatzanbieter. Hierdurch bieten wir also auch anderen Händlern eine Plattform und werden zugleich für Gastronomen zur relevantesten Beschaffungsplattform im Internet.

Die Differenzierung im Markt können wir nicht mehr allein über die Qualität und Frische der Ware herstellen. Wir brauchen eine Markenpositionierung, die so stark beim Kunden verankert ist, dass er in uns einen starken Partner erkennt.

Wie nehmen Sie dabei die vielen 10.000 Mitarbeiter mit, die ja neben dem digitalen Geschäft ein erfolgreiches klassisches Geschäft weiter erfolgreich betreiben müssen?

Das ist ja mit Abstand die wichtigste Frage und die größte Herausforderung. METRO kommt von der Ware, dem Betrieb von Märkten und seit 2009 auch von der Belieferung. Jetzt wachsen wir alle in die neue Rolle des Lösungsanbieters für Kleinunternehmer hinein. Diese werden auch in Zukunft den mit Abstand größten Teil unseres Umsatzes ausmachen. Die Differenzierung im Markt können wir nicht mehr allein über die Qualität und Frische der Ware herstellen. Wir brauchen eine Markenpositionierung, die so stark beim Kunden verankert ist, dass er in uns einen starken Partner erkennt. Wir werden Dinge für unabhängige Unternehmer leisten, mit denen sie heute nicht rechnen, die aber eines immer stärker verdeutlichen werden: Wir kämpfen für ihren wirtschaftlichen Erfolg und eine langfristige erfolgreiche Zukunft. Dann werden sie erkennen: METRO ist ein Partner wie kein anderer. Diese Identifikation beim Kunden zu erreichen – dieses Ziel teilen heute alle Mitarbeiter, über die Landesgrenzen hinweg und das motiviert sie unglaublich.

Persönliche Passion für den Kunden also als Basis für das digitale Plattform- und Lösungsgeschäft – sehen Sie darin etwas, was die METRO anderen globalen Anbietern voraus hat?

Unser größtes Asset sind die rund 24 Millionen Kunden, die eine hohe Wertschätzung für unsere Marke und unsere Mannschaft haben. B2B bedeutet Leidenschaft, Kompetenz und Vertrauen. Eine echte Partnerschaft in der Wertschöpfung kommt nicht über eine rein transaktionale Handelsbeziehung zustande, sondern nur darüber, dass wir glaubwürdig mit der gleichen Leidenschaft wie unsere Kunden agieren. Technologie kann diese Beziehung nicht ersetzen, aber sie kann sie amplifizieren. Technologie – das muss wie ein riesiger Verstärker für die Kundenbeziehung wirken.

 

22.10.2019
von Editorial Team
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