Michael Ziesemer: “Wir tragen vor Ort zum Wohlstand bei”

Für den ZVEI-Präsidenten Michael Ziesemer charakterisiert die Zahl von rund 700 000 Arbeitsplätzen, die die deutsche Elektroindustrie im Ausland geschaffen hat, die Globalisierung der Branche mehr als die reinen Handelsvolumina.  

Trump, Brexit und mehr: Wie blickt die Elektroindustrie auf aktuelle Herausforderungen in der Aussenwirtschaft?
In der Tat waren die zurückliegenden Monate von einschneidenden politischen Ereignissen geprägt, die uns auch über das laufende Jahr hinaus beschäftigen dürften. Die Trump-Wahl, das Brexit-Votum, das gescheiterte Verfassungsreferendum in Italien oder auch der Putschversuch in der Türkei sind nur einige von zahlreichen Gründen für Unsicherheit. Allein die Elektroausfuhren in die USA – unserem zweitgrößten Abnehmer – betrugen 2016 16 Milliarden Euro, die nach Großbritannien zehn, nach Italien fast acht und in die Türkei immerhin noch drei Milliarden Euro. Zusammen ist das ein Fünftel unserer gesamten Branchenausfuhren. Allerdings ist unser Export-Portfolio heute wesentlich diversifizierter als in der Vergangenheit. Das reduziert die Abhängigkeit von einzelnen Ländern. Alles in allem erwartet der ZVEI auch für 2017 Wachstum sowohl bei der Produktion als auch bei den Exporten.

Zum Handelsüberschuss Deutschlands: Generiert die Internationalisierung der Elektroindustrie denn nicht schon eine ganze Weile lokale Wertschöpfung, und zwar in den vielen Märkten vor Ort?
Man muss an dieser Stelle klar zwischen Außenhandel und Direktinvestitionen im Ausland unterscheiden. Bei beiden ist die Elektroindustrie hervorragend aufgestellt. Unsere Direktinvestitionen summieren sich auf einen Bestand von fast 46 Milliarden Euro – ein Fünftel aller Direktinvestitionen der deutschen Industrie. Zu den 804.000 Mitarbeitern unserer Branche in Deutschland kommen 704.000 im Ausland. Über die Wertschöpfung im Ausland tragen unsere Unternehmen unmittelbar zum Wohlstand in den jeweiligen Ländern bei.
Die Exportüberschüsse muss man indes differenziert betrachten. Die Handelsstatistik bildet hier stets Bruttogrößen ab, wird durch den intensiven Vorleistungshandel also aufgebläht. Von allen großen Industriebranchen hat die Elektroindustrie mit 16 Milliarden Euro übrigens den mit Abstand geringsten Überschuss.

Zu den 804.000 Mitarbeitern unserer Branche in Deutschland kommen 704.000 im Ausland

Reindustrialisierung, Modernisierung der Infrastruktur als Ziel – sind da deutsche Unternehmen nicht bereits auf einer guten Startposition in den USA?
Tatsächlich passt unser Export-Portfolio sehr gut zu Teilen der wirtschaftspolitischen Agenda in den USA. Die für eine moderne Industrie relevanten Bereiche Automation, Energietechnik sowie I+K-Technik machen mehr als 40 Prozent unserer Lieferungen in die USA aus. Nicht vergessen sollte man allerdings, dass den potenziell expansiven Wirkungen höherer Staatsausgaben oder niedrigerer Steuern in den USA dämpfende Effekte neuer protektionistischer Maßnahmen entgegenstehen könnten.

Wie wirkt sich Industrie 4.0 auf die internationalen Lieferketten der Elektroindustrie aus? Was sind Voraussetzungen für sensible Kooperationen auf dem Feld der Produktionsdaten?
Globalisierung und Internationalisierung sind Voraussetzung der digitalen Transformation und von Industrie 4.0. Durch die Verknüpfung von Wertschöpfungsprozessen über Branchen- und Ländergrenzen hinweg entstehen global interagierende Wertschöpfungsnetzwerke. Für die Elektroindustrie bedeutet diese Entwicklung Chance und Herausforderung gleichermaßen. Der Aufbau internationaler Lieferketten war immer schon ein wichtiger Faktor für unsere Branche. Jetzt wird dieser Faktor immer mehr zum Prüfstein für die Wettbewerbsfähigkeit aller Unternehmen. Zum Prüfstein wird aber auch der rechtliche und gesellschaftspolitische Rahmen. Dies zeigt sich besonders beim Umgang mit persönlichen und nicht-persönlichen Daten. Wir benötigen wir einen ehrlichen gesellschaftlichen Dialog, der das nötige Vertrauen schafft.

Wie reflektiert die EU-Initiative “Digitising European Industry” die Vernetzung der europäischen Industrieproduktion?
Nicht nur politisch haben wir derzeit in Europa verschiedene Geschwindigkeiten, sondern auch bei der Digitalisierung der Industrie. Während einige Mitgliedstaaten die Digitalisierung konzentriert und konzertiert ermöglichen, sind andere Länder – v.a. im Süden und Osten der Union – noch im Rückstand. Dieses Gefälle in Wertschöpfung und Industrieproduktion kann sich ein wachstumsorientierter europäischer Binnenmarkt nicht erlauben. Der ZVEI unterstützt deshalb die „Digitising European Industry“-Strategie der EU-Kommission. Die neu geschaffene „Europäische Plattform der nationalen Initiativen“ ist aus diesem Grund ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Weitere Lösungen im Bereich Standardisierung, Datenwirtschaft sowie Cybersicherheit fehlen jedoch noch. Der ZVEI als Schlüsselverband der Digitalisierung beteiligt sich deshalb aktiv an diesen europapolitischen Debatten.

Cyber-Sicherheit, Standardisierung, Eigentum von Industriedaten – liegt da nicht noch eine ordentliche Wegstrecke, gerade auch international vor Ihnen?
In der Cybersicherheit steht die nächste Lernkurve an. Bisher haben wir uns auf „Security-by-Design“ konzentriert. Das reicht jedoch nicht aus. Bereits die Entwicklung und die Produktion eines Produktes prägen dessen Security-Niveau mit. Immer wichtiger werden deshalb Verantwortungsrollen, Prozesse, Budgets sowie Services für Security.

Immer wichtiger werden deshalb Verantwortungsrollen, Prozesse, Budgets sowie Services für Security.

International steht die nächste Herausforderung an: Auch Mittelständler müssen Security global einheitlich von ihren Zulieferern abfragen und darstellen können. Hierfür fehlen weiterhin Kategorien, Metriken und Standards. Industrieinitiativen wie die IEC 64443 müssen zügig finalisiert und von der Politik flankiert werden.
Beim Dateneigentum dürfen wir den Kompass nicht verlieren. Vielerorts geht es nicht um die juristische Definition des Eigentums von technischen Daten – das wird unter den Experten vielfach diskutiert, ist aber insbesondere für KMU nicht in erster Linie relevant. Vielmehr sind die Daten-Nutzungsrechte zwischen Hersteller und Betreiber vertraglich zu klären. Das bestehende Vertragsrecht reicht hierfür weitestgehend aus.

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18.04.2017
von Editorial Team
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