Prof. Hermann Simon: “Gesetz der Globalisierung bleibt gültig”

Handelspolitik, Digitalisierung, Elektromobilität, China – Prof. Hermann Simon im Gespräch über weltweite Herausforderungen für die “Hidden Champions” aus Deutschland.

Beim Thema China herrscht in der deutschen Öffentlichkeit keine gute Stimmung.  Wie sieht diese in den deutschen Unternehmen in China aus?

Die Diskrepanz zwischen dem Alltag in den Unternehmen und der öffentlichen Debatte hier ist schon sehr groß. Die Zusammenarbeit auf der Ebene der Betriebe läuft gut. In China mit Partnern und Mitarbeitern eine plakative Wertediskussion anzufangen – das bringt gar nichts. Ich plädiere dafür, dass wir sehr offen miteinander reden. Dazu gehört auch, dass unsere chinesischen Partner mal offen Kritik äußern – und war an uns. Und uns sagen, wenn wir zu langsam, zu wenig flexibel oder  zu prinzipiell sind. 

Wie schlagen die gegenwärtigen handelspolitischen Spannungen auf die Stimmung in den Unternehmen durch?

Diese werden als gravierend und sehr negativ empfunden. Es herrscht Unsicherheit, ob die globalen Lieferketten, die auch die Mittelständler in den letzten drei Dekaden aufgebaut haben, Bestand haben werden. Diese werden jetzt schon kräftig verändert. Nicht mehr aus China in die USA liefern zu können, das von Werken in Europa machen zu lassen und diese wiederum von China aus zu beliefern – diese logistischen Umstellungen sind ein Kostenfaktor, der weit schwerer wiegt als höhere Zölle. 

Das Gesetz der Globalisierung – etwas dort zu tun, wo man es unter Kosten-Nutzen-Aspekten am besten tun kann – bleibt gültig. 

Müssen die Wertschöpfungsketten also überschaubarer werden? 

Verlagerungen und Veränderungen sind immer und überall im Gange. Zur lokalen Produktion gibt es aber keine Alternative. Wer in China etwas werden, will muss Chinese werden. Wer beim Nano-Auto in Indien zuliefern will, muss seine Produkte in Indien anpassen und dort entwickeln, nicht nur wegen der Lohnkosten. Das gilt umgekehrt auch: Die Global Players aus dem Ausland entdecken mittelgroße Städte in Deutschland als qualitativ weltbeste Produktionsstandorte. Das Gesetz der Globalisierung – etwas dort zu tun, wo man es unter Kosten-Nutzen-Aspekten am besten tun kann – bleibt gültig. 

Also bleiben auch die hiesigen Standorte sicher? 

Es wird weiterhin keinen Substitutionswettwerb der Standorte untereinander geben. Die 1300 Hidden Champions, die wir beobachten, haben in den letzten zehn Jahren etwa  1,5 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen, von diesen über 500 000 qualifizierte Arbeitsplätze in Deutschland. Ich behaupte: Die gibt es in diesem Umfang nur, weil die Million neuer Arbeitsplätze im Ausland von hier amus mit zu bedienen sind. 

Wie wirken die beiden großen Transformationen der Digitalisierung und Elektromobilität in diesem Kontext?

Dazu einfach als Beispiel ganz neue Zahlen vom Institut der Deutschen Wirtschaft. Von 2010 bis Juli 2018 sind für das  Autonome Fahren 9900 Patente angemeldet worden. Davon stammen 40 Prozent aus Deutschland. Unter den 10 größten Anmeldern sind fünf deutsche Firmen, mit Bosch an der Spitze. Wir sind in der Transformation nicht so sichtbar wie die digitalen Riesen aus Kalifornien oder China in ihren Massenmärkten. Wir spielen aber digital eine führende Rolle im B2B, in komplexen Prozessen und bei industriellen Services. Teamviewer und Deepl sind Beispiele. In Deutschland ist in den Unternehmen ein tiefes Know-how zu einzelnen Branchen entstanden, das Wettbewerber nicht schnell über Rekrutierung an weltweiten Hochschulen aufbauen könnten.   

Deutsche Unternehmen spielen digital eine führende Rolle in komplexen Prozessen der Industrie.

Noch einmal zu China, wo in der  Elektromobilität große und viele neue Player am Markt sind. Wie können Mittelständler als deren Partner bestehen?

Beim Blick auf die dortigen Champions fallen einige fundamentale Unterschiede auf. Durch den viel schnelleren Gang an die Börse, den Zugang zu fast unbegrenztem  Kapital wachsen die Hidden Champions aus China viel schneller. Es sind dort enorm viele Unternehmen unterwegs, die mit sehr großer Finanzkraft riesige Entwicklungskapazitäten aufgebaut haben. Da gibt es Forschungsabteilungen,  die oft vierfach oder fünffach mehr Leute beschäftigen als vergleichbar große Firmen in Deutschland. 

Welches Kooperationspotenzial sehen Sie da noch für Mittelständler?

Die deutschen Firmen habe nach wie vor eine sehr hohe Reputation und sind in vielen Bereichen noch Klassen besser. Mit Partnern ins Geschäft zu kommen, geht auch über die Form einer Beteiligung. Die letzten Jahre haben sich etwa 200 chinesische Firmen an Firmen in Deutschland beteiligt, umgekehrt waren es nur 50. Bei Intellectual Property ist immer noch Vorsicht geboten, auch wenn der Schutz jetzt besser funktioniert. Bei Kooperationen ist die Situation nicht so fundamental anders als hier. Hidden Champions haben gelernt, mit Herstellern zurecht zu kommen, die mehr als hundertmal so groß sind wie sie selbst. Von der kulturellen Seite, beim  Vertrauen stellt sich überall die Aufgabe, das nachhaltig aufzubauen. 

Vor Ort aktiv zu werden ergibt immer noch ein besseres Bild als hier nur die Zeitung über China zu lesen.

Eigene Ressourcen für Wachstum aufzubauen, geht das im heutigen China überhaupt noch?

Talente und Ressourcen sind in China teilweise bereits knapp geworden. Um dieses Problem zu lösen, muss man in weniger entwickelte Standorte gehen. China ist so groß, dass man dort ohnehin nicht auf Dauer von einem Standort aus das ganze Land bedienen kann. Drei, vier Standorte werden auch für Mittelständler notwendig werden. Unsere Delegationsreise für Hidden Champions geht nach Chengdu und Guiyang, also richtig tief ins Land hinein. Mein Rat: Vor Ort aktiv werden, Betriebsbesichtigungen, Matchmaking – das ergibt immer noch ein besseres Bild als hier nur die Zeitung über China zu lesen. 

 

Information zur Delegationsreise Chengdu, Guiyang, Tsingtau, an der Prof. Simon teilnimmt : “China-Reise Smart Manufacturing und Hidden Champions

 

13.09.2019
von Editorial Team
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