Roland Bent: “Den Kopf freimachen von alten Denkweisen”

Nachgefragt in Zeiten von Corona: Roland Bent, CTO der PHOENIX CONTACT GmbH & Co. KG, im Gespräch über die Unternehmensvision Nachhaltigkeit 

Herr Bent, wie haben Sie persönlich die letzten Monate der Corona-Krise wahrgenommen? 

Die Zeit läuft mit einer enormen Geschwindigkeit an einem vorbei. Außer zwei Dienstreisen in Deutschland habe ich die meiste Zeit in meinem Büro in Blomberg verbracht. Sogar Besuche bei den Tochtergesellschaften in Europa gehören bei uns zur Ausnahme. Ich bin weiß Gott nicht pessimistisch. Ich glaube aber nicht, dass es ein Wundermittel geben wird und alles wird wie früher und wir nächstes Jahr schon in den alten Modus zurückschalten können. Wir werden noch eine ganze Zeit in einer besonderen Situation arbeiten müssen. Lethargie und Resignation dürfen wir uns aber alle nicht leisten, wenn wir die Wirtschaft wieder ankurbeln wollen. Wir haben gelernt, dass man mit einem vernünftigen Verhalten die Situation managen kann. Ich bin fest überzeugt, dass wir das auch weiterhin in unserem Unternehmen schaffen werden. 

“Empowering the All Electric Society” – wie wichtig ist diese Unternehmensvision einer Welt, die auf nachhaltige Energie aufbaut gerade in diesen Zeiten? 

Wir binden unsere Zukunft als Unternehmen an eine globale Perspektive der nachhaltigen Energienutzung. In diesem Prozess, den nicht nur wir als Unternehmen für alternativlos halten, gilt es unsere Rolle zu definieren. Klimawandel und Reduzierung von CO2, die wachsende Weltbevölkerung und eine prognostizierte Verdoppelung des Weltenergiebedarfs bis 2050 – um diese Widersprüche zu lösen, reichen Verzicht und Unterlassen nicht aus. Es bedarf neuer technologischer Ansätze. Wir glauben, dass die Welt tatsächlich vor einer Energierevolution steht, die das Ende des fossilen Energiezeitalters einleitet. Eine Gesellschaft, deren gesamter Energiebedarf durch regenerativ erzeugte Elektrizität gedeckt wird, eine komplett CO2-freie Energieversorgung – diese Vision hat eine gewaltige Kraft. Sie hat auch das Potenzial, die Nicht-Verfügbarkeit von Energie als eine der wichtigsten Schranken für wirtschaftliche Entwicklung in der Welt zu beseitigen, ohne unsere natürlichen Ressourcen dafür zu zerstören. 

Um diese Widersprüche zu lösen, reichen Verzicht und Unterlassen nicht aus

Und wie kompliziert, wie realistisch ist diese technologische Perspektive?

Natürlich kann man fragen, ob das eine Utopie bleiben wird. Wie soll regenerativ erzeugte elektrische Energie für die Welt bereitstehen, wo sie selbst in Deutschland und auch nur bei der elektrischen Energie erst gerade 40 bis 50 Prozent Anteil hat? Die Lösbarkeit wird klar, wenn man einfach einmal den Kopf freimacht von alten Denkweisen. Die Strahlungsleistung der Sonne produziert an jedem einzeln Tag das Zehntausendfache dessen, was die Welt an Energie überhaupt benötigt. Ein Prozent der Erdoberfläche würde ausreichen, um die Welt mit Energie zu versorgen. Die nächste kritische Frage ist dann immer die, ob das jemals wirtschaftlich zu organisieren wäre. Dabei kann bereits heute die Stromerzeugung mit Sonne und Wind günstiger sein als die mit Kohle. Dann folgt der nächste Einwand, dass die regenerative Energie immer da entsteht, wo sie gerade nicht gebraucht wird. Sie ist volatil und muss transportiert und gespeichert werden können. Da kommt für mich als Techniker eine Schlüsseltechnologie ins Spiel, die diese Vision überhaupt erst möglich macht: Power to X- die Nutzung von regenerativer Elektrizität, um Gase wie Wasserstoff oder andere Treibstoffe zu erzeugen, die man in Tankern und Pipelines transportieren kann. Die man aber vor allem auch speichern kann. Dann kommt das Argument des geringen Wirkungsgrads. Auch hier muss man vom Zielzustand her denken. Die Power to X Technologien sind der Schlüssel dafür, dass für die Erzeugung regenerativer Elektrizität attraktive Gebiete wie Wüsten und Offshore-Parks nutzbar werden. Sie ermöglichen damit die preiswerte Erzeugung im großen Maßstab. Liegt regenerativ erzeugte Elektrizität aber preiswert und in großen Mengen vor, dann spielt der Wirkungsgrad der Umwandlung nur eine untergeordnete Rolle. Wenn man sich das vor Augen hält, muss man eigentlich zum Schluss kommen, endlich anzufangen, das Rad der economies of scale anzuschieben. Die technischen Möglichkeiten für die Umsetzung der Vision sind heute da. 

Man muss anfangen das Rad der economies of scale anzuschieben

Wie sehen Sie die Rolle Ihres Unternehmens in dieser Transformation der Energiewirtschaft?

Ein entscheidender Faktor dafür ist die sogenannte Sektorenkopplung. Wir müssen dafür sorgen, dass alle energieerzeugenden, -verbrauchenden und -speichernden Bereiche der Wirtschaft und des gesellschaftlichen Lebens miteinander vernetzt werden. Vernetzte Lösungen helfen, Energie, die an einer Stelle im Überschuss entstanden ist, an Stellen zu bringen, wo sie gerade benötigt wird. Und genau da sehen wir unseren Beitrag als Unternehmen. Die Vorbedingung für die Sektorenkoppelung sind Elektrifizierung, Vernetzung und Automatisierung – das sind unsere Kernkompetenzen. Damit können wir an der Lösung der großen globalen und gesellschaftlichen Probleme mitarbeiten und gleichzeitig an der wirtschaftlichen Entwicklung partizipieren. 

Elektromobilität ist zu einem wichtigen Geschäftsfeld Ihres Unternehmens geworden. Wie geht dort die Entwicklung weiter?

Die Corona-Krise wird die Transformation des Mobilitätssektors nicht aufhalten. Wie auch bei anderen Bereichen der All Electric Society: Corona wirkt eher beschleunigend, politisch und von der öffentlichen Wahrnehmung her. Die weltweiten Investitionsprogramme – in China, der Green New Deal der EU und die Programme in Deutschland für Ladeinfrastruktur, Mobilitätswandel und Wasserstoff – adressieren alle Nachhaltigkeitsthemen, um die Wirtschaft zu stimulieren. Es gibt eine weltweite Konvergenz von wirtschaftlichen und ökologischen Interessen. Aber machen wir uns nichts vor: Natürlich ist die Situation in den Unternehmen der Automobilwirtschaft derzeit schwierig. 

Es gibt eine weltweite Konvergenz von wirtschaftlichen und ökologischen Interessen. 

Und wie spürt Phoenix Contact die Corona-Krise wirtschaftlich?

Wir leben in einer vernetzten Weltwirtschaft und natürlich spüren wir die Folgen im Unternehmen. Der erste Schlag traf uns mit dem kompletten Lockdown in China am Anfang des Jahres. Dann kam auch Europa. Wir haben im Unternehmen Maßnahmen getroffen und Szenarien entwickelt, um das alles managen zu können. Zum Glück sind unsere schlimmsten Befürchtungen nicht eingetreten. Das erste halbe Jahr betrachtet sind wir beim Umsatz natürlich unter Vorjahr. Das bewegt sich im mittleren einstelligen Bereich, wohl ähnlich wie in der gesamten deutschen Elektroindustrie. Damit sind wir gut positioniert im Vergleich zu anderen Branchen wie Fahrzeug- oder Maschinenbau. In China hatten wir zwischenzeitlich einen vollständigen Rebound-Effekt, als das Geschäft wieder anlief. Das wird jetzt wieder etwas flacher, weil auch dort die globalen Auswirkungen spürbar werden. Für uns sind die USA unser größtes Sorgenkind. Wir steuern heute auf Sicht – wir haben Szenarien, wir haben Erwartungen. Aber wir produzieren und sind lieferfähig, wir haben große Anstrengungen unternommen, damit  unsere Kunden das bekommen, was sie bestellt haben. Dazu haben wir auch höherer Kosten in Kauf genommen und neue Logistikwege erschlossen. Natürlich hatte die Sicherheit unserer Mitarbeiter für uns die höchste Priorität. Erfreulicherweise haben wir bis heute keine Infektion, die im Unternehmen ausgelöst wurde.

Wir steuern heute auf Sicht

Lassen sich die Risiken bei den Lieferketten durch De-Globalisierung minimieren?

Ich würde eine stärkere lokale Zusammenführung von Wertschöpfungsstufen nicht als De-Globalisierung, sondern als andere Form der Internationalisierung sehen, für die wir durchaus eine Sympathie hegen. Die total verketteten und über viele regionale Instanzen hinweg geführte Wertschöpfung, die erst am Ende zu einem Produkt führt, das dann wieder global distribuiert werden muss – dieses Konzept hat in der Krise Schwächen offenbart. Das ist auch nicht das Ziel unserer Globalisierung. Wir werden weiterhin an einer weltweiten und dezentralen Produktion festhalten, die bei uns immer schon nach der Devise “local for local” ausgerichtet war. Wir wollen an einem lokalen Standort eine relative Autonomie erreichen, indem wir vor Ort beschaffen und auch Ressourcen und Kompetenzen für die Entwicklung halten, um dort für die Kunden agieren zu können. Wir wollen Situationen vermeiden, dass an einer Stelle in der Welt ein bestimmtes Teil produziert wird, das – wenn es ausfällt – an den anderen Standorten für Produktion und Montage alles zum Stehen bringt. Resilienz durch Zusammenführung von Wertschöpfung zu stärken – das wäre für mich eine Lehre aus der Krise. Die Digitalisierung wird uns dabei helfen, dies intelligent und wirtschaftlich realisieren zu können –  auch an Orten mit höherem Lohnniveau. 

Sympathie für eine stärkere lokale Zusammenführung von Wertschöpfungsstufen 

Kommt damit auf die lokalen Standorte eine neue Rolle zu?

Ja, ich glaube das. In China sind wir bereits mit Entwicklungskapazitäten präsent, um markt- und kundenspezifische Anpassungen vorzunehmen und Lösungen umzusetzen. Das machen wir auch in den USA und an anderen Standorten, wo wir das Potenzial sehen. Auch unter geopolitischen Aspekten ist das sinnvoll. Schon vor Corona folgten aus der Tendenz zu Wirtschaftsnationalismus und Protektionismus, auch zu Populismus, Marktabschottungen, mit denen wir umzugehen haben. Wir müssen versuchen, in den Regionen eine vernünftige Wertschöpfung zu gestalten. Das heißt dann eben nicht nur eine Fabrik, sondern auch Engineering und die Wertschöpfungskette ein Stück weiterzudenken. Das bedeutet nicht, dass wir in allen Weltregionen alles parallel machen und unsere Strukturen vervielfältigen wollen. Dies wäre wirtschaftlich nicht sinnvoll; wir werden auch weiterhin globale Ketten nutzen. Tendenziell ist deutlicher geworden, was das Prinzip “Follow the Customer” heißt. Es ist weit mehr als Marketing, das dieses lokales Commitment unterstreicht. Die große Herausforderung ist dabei, es wirtschaftlich hinzubekommen. Wir haben ja nicht aus Spaß globalisiert, sondern natürlich auch aus dem Preisdruck heraus und in Sorge um unsere globale Wettbewerbsfähigkeit. Da müssen wir uns jetzt Lösungen einfallen lassen, um beides unter einen Hut zu bekommen. 

Wir haben ja nicht aus Spaß globalisiert, sondern in Sorge um unsere globale Wettbewerbsfähigkeit 

Wie hat sich Corona auf die Kommunikation und die weltweite Kollaboration der Standorte im Unternehmen ausgewirkt?

Ein Effekt war und ist trotz aller Tiefschläge die starke Motivation, zu sagen: Das kriegen wir hin, wir kommen da gemeinsam durch. Das ist ein Spirit des Zusammenhalts und des Willens, gemeinsam die Krise zu bewältigen. Wie das über die digitale Kommunikation funktioniert hat und was wir in dem Sinne alles geschafft haben, hat uns alle erstaunt. Ich habe mit Faszination gesehen, mit welcher Kreativität die chinesischen Teams an die Probleme herangingen und mit welch selbstverständlicher Solidarität untereinander agiert wurde. Um Infektionen zu vermeiden, wurden isolierte Gruppen gebildet, auch wenn das für jeden Einzelnen berufliche, aber auch persönliche Einschnitte bedeutete. Die italienischen Teams haben selbst in der allerschlimmsten Zeit hochmotiviert nach allen möglichen Wegen gesucht, Kunden weiter zu beliefern. Das Leitbild unseres Unternehmens, über das wir gesprochen haben, hatte dabei eine wichtige Funktion für die Identifikation und Motivation. Die Mitarbeitenden erkennen für sich die Sinnhaftigkeit dessen, was sie trotz aller Schwierigkeiten tun. In diesen Zeiten ist Kommunikation und die aktive Einbindung der Mitarbeitenden sowie die Sichtbarkeit des Managements elementar. Wenn irgendwann der richtige Moment für die Ablösung von “Command and Control” als Führungsinstrument gegeben ist, dann jetzt. 

 

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19.08.2020
von Editorial Team
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