Dr. Stefan Wolf ist Vorsitzender des Vorstands der ElringKlinger AG, einem international tätigen Automobilzulieferer mit rund 9500 Mitarbeitern und 44 Standorten weltweit, und ehrenamtlich Präsident des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall.

Interview: Hans Gäng, August 2022

Die wirtschaftliche Lage der Nation scheint schwierig. Wie ist die Stimmung bei ElringKlinger?

Die Stimmung ist verhalten positiv. Wir leiden natürlich auch unter den ganzen Dingen. Bei uns sind es vor allem die Rohstoffpreise. Stahl und Aluminium sind die Hauptstoffe, mit denen wir arbeiten. Hier sind die Preise deutlich gestiegen. Wir haben natürlich auch Probleme in der Lieferkette. Aber ich versuche immer, eine positive Grundstimmung in der Belegschaft zu halten. Wir hatten auch in der Vergangenheit schon schwierige Zeiten. Nicht so schwierige wie die jetzt gerade – aber die Zeiten sind dann immer wieder besser geworden. Das wird auch dieses Mal so sein.

Beeinträchtigen denn diese Herausforderungen den Transformationsprozess und Ihre Zukunftsplanungen?

Eigentlich nicht wirklich. Wir haben seit über 20 Jahren Erfahrung im Bereich der Brennstoffzellentechnologie, vor über 10 Jahren haben wir einen Geschäftsbereich für Batterietechnologie und Elektromobilität gegründet, das sind unsere Zukunftstechnologien. Wir bleiben auch sehr stark bei den Verbrennungsmotoren. Ich bin übrigens der Meinung, dass wir diese noch sehr lange haben werden. Aber wenn hier die Stückzahlen zurückgehen, werden wir die Substitutionsprodukte platzieren. Wir haben ja bereits Aufträge und gute Entwicklungsprojekte in diesen Bereichen. Eines ist klar: Wir müssen jetzt natürlich Geld verdienen, das wir weiterhin in die Technologien von morgen investieren können, um die Transformation gut über die Bühne zu bringen. Das ist natürlich momentan schwierig, durch die Kostensteigerungen und mit den immensen Zusatzbelastungen, die wir haben. Ich bin auch fest davon überzeugt, dass wir nächstes Jahr in eine Rezession rutschen – egal, ob es 0,4 Prozent sind oder 1 Prozent oder 1,4 Prozent werden. Wir müssen schauen, dass wir sehr schnell wieder aus dem Tal herauskommen, um positive Erträge zu erwirtschaften, mit denen wir die Transformation gestalten können.

„Wir hatten auch in der Vergangenheit schon schwierige Zeiten. Sie sind dann immer wieder besser geworden. Das wird auch dieses Mal so sein.“

Treibt Sie beim Thema Wasserstoff auch der Blick auf globale Märkte voran?

Wir denken da schon global, keine Frage. Ich glaube, dass diese Technologie Zukunft haben wird und wir sehen ja auch hier in Deutschland Veränderungen in den Einstellungen. Es bewegt sich was. In den Koalitionsparteien, also in der Ampel sehe ich, dass das Wasserstoffthema dort sehr relevant wird. Neue Verkehrskonzepte werden gar nicht ohne Brennstoffzelle gehen. Das Fliegen, die großen Kreuzfahrtschiffe, aus meiner Sicht auch die Lkws, gehen nicht ohne Brennstoffzelle. Sie werden sicherlich nie einen Kleinwagen mit Brennstoffzelle sehen, aber ich glaube, dass die Brennstoffzelle auch bei den SUV und Luxusfahrzeugen zum Einsatz kommen wird. Wir sind nicht auf Straßenfahrzeuge begrenzt, sondern auch Züge sind vorstellbar. Wir haben auch schon entsprechende Projekte wie zum Beispiel seit 2020 mit Airbus, wo wir einen Brennstoffzellenstack für ein Passagier-Flugzeug entwickeln. Da gibt es viele interessante Anwendungen, insofern ist die Brennstoffzelle in der Summe sehr relevant.

Zum Thema Abhängigkeiten von China: Ist “Decoupling” eine Lösung?

Ich halte “Decoupling” für total unrealistisch. Sich von China abzuwenden, wäre ein großer Fehler. Für die Fahrzeugindustrie ist China der größte Einzelmarkt. Es ist der größte Absatzmarkt und wir haben auch unglaublich viele Lieferbeziehungen sowohl mit Teilen, die aus China kommen oder solchen, die wir nach China liefern. Also nein, Decoupling ist eine völlig unrealistische Sichtweise. Das würde zu einer Weltwirtschaftskrise führen, wie wir sie noch nicht gesehen haben. Das Land ist eine Exportnation und einfach global zu verflochten. Wir müssen dennoch vielleicht noch einmal auf die Lieferketten schauen und bei den Zukunftsinvestitionen die geopolitische Entwicklung berücksichtigen. Das haben wir in der Vergangenheit manchmal nicht getan und das war ein Fehler. Es gibt ja sehr viele Zulieferer, die in der Ukraine sind, aber kaum einer hat damit gerechnet, dass Russland dieses Land so brutal angreift. Wir schauen schon darauf, dass wir im Zulieferbereich ausgeglichen sind, also deutsche Zulieferer haben und auch europäische. Aber ein Unternehmen wie ElringKlinger global zurückzudrehen, das halte ich für völlig illusorisch.

Globale Wertschöpfungsketten sind oft sehr komplex, können diese nicht vereinfacht werden?

Wir verfolgen das schon seit Jahren. Wir produzieren in unseren chinesischen Werken und Tochtergesellschaften für Kunden in China. Das sind zum Teil natürlich auch internationale, aber auch lokale Fahrzeughersteller in China. Wir produzieren in Mexiko sehr viel für die USA, in den USA für US-Fahrzeughersteller und in Brasilien für die Fahrzeughersteller in Brasilien. Wir verfolgen das also schon sehr lange, dass wir Produktion lokalisieren müssen, um dann auch lokal in dem Land liefern zu können. Diese Lokalisierung ist ein Prozess, den wir stark vorantreiben. Es würde keinen Sinn machen, zum Beispiel in den USA eine Produktion zu schließen und die Teile in Deutschland zu produzieren und sie dann mit hohen Transportkosten in die USA zu bringen. Es ist einfach zu teuer, Fahrzeugteile, die sperrig sind, um die halbe Welt zu schippern. Deswegen sind wir unseren Kunden global gefolgt, um eben auch lokal liefern zu können. Das zurückzudrehen würde ja auch von der Kostenseite her gar keinen Sinn ergeben.

„Decoupling von China ist völlig unrealistisch. Das würde zu einer Weltwirtschaftskrise führen, wie wir sie noch nicht gesehen haben. “

Sie sind in 44 Ländern aktiv, gibt es für Sie überhaupt noch neue, alternative Märkte?

Es entwickeln sich natürlich schon alternative Märkte, ganz stark vor allem im asiatischen Raum: Indonesien, Thailand, die Philippinen — das sind alles Märkte, die sich entwickeln. Dann in Südamerika, im Autobereich Argentinien — da haben wir aber natürlich angrenzende Standorte, wo wir relativ einfach dann in diese Länder liefern können. Für uns ist die Globalisierung abgeschlossen. Ich bin nur über eines froh: Wir haben im Jahr 2009 einen Standort in Russland geplant. Wir haben dort auf der Zielgeraden die Reißleine gezogen und uns dagegen entschieden. Es wäre für uns ein Fass ohne Boden geworden, es war genau die richtige Entscheidung, nicht in das Land und den Markt zu gehen, der heute zwar für das Ersatzteilgeschäft und auch für den Fahrzeughandel wichtig ist, aber als Standort für die Herstellung von Fahrzeugen relativ unbedeutend ist. Ansonsten haben wir aber eine globale Aufstellung, dass wir eigentlich in allen Ländern sind, wo unsere Kunden eben Fahrzeuge produzieren.

Was bedeutet denn die “abgeschlossene Globalisierung” intern für ElringKlinger, für die Zusammenarbeit der Teams in den Ländern?

Für uns ist dabei das Thema Digitalisierung wichtig. Wir sind schon relativ stark digital, aber haben jetzt schon einen eigenen Bereich geschaffen, der sich in Zukunft nur um dieses Thema kümmert. Denn hier wird es natürlich auch noch globaler werden. Maschinen und Anlagen werden miteinander kommunizieren, vom Mexiko über China nach Deutschland. Es werden Werkzeuge miteinander vernetzt sein: Ein mexikanisches Werkzeug wird mit einem Werkzeug in unserem Werk in Runkel bei Limburg kommunizieren. Das wird schon ein neuer Schub in der Globalisierung. Auch unsere Teams werden wir darum deutlich globaler aufstellen. Zwei Jahre Corona haben uns gezeigt, dass wir sehr viel mehr virtuell und digital machen können. Das wird dazu führen, dass wir im Personal noch deutlich internationaler werden. Die Leute müssen heute nicht mehr alle drei oder fünf Jahre umziehen, in ein anderes Land, sondern sie werden mehr und einfacher digital miteinander kommunizieren. Viele Projekte unserer Kunden sind heute ebenfalls global ausgelegt und müssen auch global abgearbeitet werden. Ein Entwicklungsingenieur in Kalifornien möchte halt gerne einen Ansprechpartner haben und bei neun Stunden Zeitverschiebung müssen wir eben einen Weg finden, wie wir Leute miteinander kommunizieren lassen können. Digitalisierung heißt für mich eben auch Globalisierung, vor allem im personellen Bereich. Dazu müssen wir die Leute natürlich schulen. Digitale Transformation bedeutet Veränderung für die Menschen. Wir müssen sie mitnehmen. Dazu haben wir entsprechende Schulungsprogramme entwickelt und auch Förderprogramme geschaffen – für junge Leute, die wir entwickeln wollen. Selbstverständlich sind diese Programme bei ElringKlinger total global aufgesetzt.

 

Dr. Stefan Wolf ist Vorsitzender des Vorstands der ElringKlinger AG, einem international tätigen Automobilzulieferer mit rund 9500 Mitarbeitern und 44 Standorten weltweit, und ehrenamtlich Präsident des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall.

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