Frank Stührenberg: “Bei Innovationen keinen Millimeter nachlassen”

Frank Stührenberg, Vorsitzender der Geschäftsführung von Phoenix Contact, über Globalisierung, aktuelle Herausforderungen und den Kurs des Unternehmens. 

Haben wir heute eine andere Welt der Globalisierung als noch vor zwei Jahren? 

Ja, wir haben eine fundamental andere Situation als vor einem Jahr, ich würde sogar sagen, als wir noch vor drei Monaten hatten. Die Kriegssituation hat etwas fundamental verändert. Auch bei mir ist dadurch ein Paradigma ins Wanken geraten. Persönlich, als Unternehmen, in der Branche und als Exportwirtschaft haben wir daran geglaubt, dass die Rede vom “Wandel durch Handel” Substanz hat. Wir dachten, wenn wir in Russland 250 Menschen in zukunftsfähigen Arbeitsplätzen und in unserer offenen Unternehmenskultur beschäftigen, können wir gesellschaftlich kleine positive Wirkungen erzielen. Ich gebe zu: Diese Einschätzung ist mächtig ins Wanken geraten. Die Sichtweise auf die Globalisierung, ihre positive Dynamik und das Wachstum, das es durch sie in den vergangenen Jahren gab, ist erschüttert.

Wie sehen sie die geopolitischen Herausforderungen für die Unternehmen? 

Es ist schon jetzt so, dass sich das Verhältnis zwischen den USA und China, die Strategie des Decoupling, auf den Weltmarkt auswirkt. Die Selbstverständlichkeit der Zusammenarbeit zwischen der westlichen und fernöstlichen Welt wird es so nicht mehr geben. Auch China setzt auf bestimmte Branchen, deren Entwicklung es in der eigenen Hand haben will. Europa dazwischen hat auf diese Situation, die nicht nur eine kurze Phase sein wird, zu reagieren. Aus der Sicht eines Technologieunternehmens aus Deutschland liegt darin aber auch eine Chance.  

 Jetzt steht eine kluge Lokalisierung oder Regionalisierung.

Und worin liegt die?

Stärkere lokale Wertschöpfung, wie sie etwa in den USA und auch in Europa derzeit betrieben wird, bedeutet auch Investition in Maschinen und Anlagen. Für uns heißt das, dass wir die einzelnen Weltregionen stärker „local für local” entwickeln werden – statt Wertschöpfungsketten voranzutreiben, die vollständig über den Globus integriert und durchgetaktet sind. Jetzt steht eine kluge Lokalisierung oder Regionalisierung an, ohne dass die Aufwände für ein Unternehmen dabei zu groß werden dürfen. 

Wie schwierig ist es, jetzt Lieferketten umzustellen?

Liefertreue und Zuverlässigkeit bleiben unsere höchsten Ansprüche an uns selbst. Wir haben aber derzeit wie alle in der Branche unsere Schwierigkeiten damit. Unser Unternehmen, das eine tiefere interne Wertschöpfung hat, kann noch navigieren. Wir sind nicht von internationalen Lohnfertigern abhängig. Nach einem Jahr des Kämpfens um die knappen Reste, die in der Elektronik noch auf dem Markt waren, scheinen nun alle Puffer langsam erschöpft. Diese Störungen machen uns schon Sorgen. Kritisch ist auch das Thema der nicht mehr verfügbaren Logistikkapazitäten. Das hat man irgendwann nicht mehr in der eigenen Hand. 

Hilft dabei die lokale Agilität von Landesgesellschaften?

Seit Beginn unserer Internationalisierung haben wir versucht, in den Ländern Einheiten aufzubauen, die einen möglichst starken lokalen Footprint hatten. Lokale Geschäftsführungen, eine Eigenkultur der Unternehmen etwa im Vermarktungsprozess, lokale Läger. ein eigenes Portfolio, keine Abhängigkeit von Shared Service Centers bei der Auftragsverwaltung und Rechnungsstellung, eigene logistische Kompetenzen. Damit konnten manche Probleme umgangen werden. In China und USA haben wir wie in Deutschland den gesamten Prozess vollständig abgebildet und darauf geachtet, dass wir lokale Zulieferstrukturen entwickeln konnten. Metallteile für Klemmen werden nicht tonnenweise durch die Welt transportiert, sondern in China von den Zulieferern vor Ort in die Montage angeliefert. Das hat uns letztes Jahr geholfen, auch Engpässe in Europa auszugleichen. In den USA haben wir eine Elektronik-Produktion, die wir gerade ausbauen. 

Welches sind Ihre Pläne für China?

Wie das mit Plänen derzeit so ist. Wir hatten einen Plan für dieses Jahr, wir hatten auch einen Plan für letztes Jahr… Auch wenn sich Dinge derzeit Monat für Monat ändern, bleibt China der größte Markt außerhalb von Deutschland.  Das für uns so wichtige Thema Elektromobilität kann man aus heutiger Sicht nicht ohne China denken, also müssen wir eine Position im Markt finden. Im aktuellen Fünfjahresplan setzt China aber für bestimmte Technologien, Branchen und Märkte erklärtermaßen auf einen eigenen Kreislauf mit nationalen Wertschöpfungsketten. Die angestrebte Autarkie im Energiesektor – bei Erzeugung und Verteilung – bei der Elektromobilität und im Smart Manufacturing sind Handlungsfelder, die unser Chinageschäft maßgeblich bestimmen.  Am offenen internationalen Kreislauf Chinas nehmen wir mit großer Freude teil und vernetzen uns intensiv.  

Wie reagiert Phoenix Contact auf diese neuen Gegebenheiten? 

Anstatt einfach abzuwarten und zu hoffen, dass alles so bleibt wie es war, müssen wir uns auf die Situation einstellen. Wir stellen uns darauf ein, dass wir uns noch viel stärker als bisher mit chinesischen Unternehmen vernetzen, indem wir in China noch mehr eigene Entwicklungs- und Softwarekompetenz aufbauen. Wir wollen mit den chinesischen Kunden nicht nur Standard-Liefergeschäfte tätigen, sondern mit ihnen zu spezifischen, aggregierten Lösungen kommen. Die Position unserer Werke soll so sein, dass auch große und bedeutende chinesische Unternehmen sagen, dass sie Phoenix Contact in China und in ihrer Nähe haben wollen. Weil unsere Rolle theoretisch durch chinesische Wettbewerber abgedeckt werden kann, brauchen wir so viel innovativen Vorsprung, dass es nicht so ganz leicht ist, uns zu ersetzen. Dazu gehört auch, künftig nicht mehr jeden Schritt als Unternehmen alleine zu tun, sondern sich aus der Komfortzone herauszubewegen und auch mit chinesischen Partnern enger zusammenzuarbeiten. Das alles aber, ohne dass wir blind über alles hinweggehen, was sich politisch ankündigt – das verlangt gerade die Größe dieses Markts von uns. 

Ich bin sehr sicher, dass wir die notwendigen als auch die Sprunginnovationen nicht auslassen.

Beeinträchtigen all diese Herausforderungen die Innovationskraft des Unternehmens?

Ohne Frage ist es richtig: Alle exogenen Einflüsse –  Pandemie, Lieferengpässe, Krieg, Deglobalisierung – binden enorme Kapazitäten. Gleichwohl bin ich für unser Unternehmen sehr sicher, dass wir die notwendigen Innovationen und auch die Sprunginnovationen nicht auslassen. Wir müssen uns klarer priorisieren und fokussieren. In den vergangenen Jahren war es toll, jährlich hundert neue Produkte präsentieren zu können, auch wenn zwanzig davon Variationen bestehender Produkte waren. Jetzt reicht es eben nur noch zu 80 oder 60 Produktinnovationen, auf die es aber wirklich ankommt. Und wir bleiben dabei auch strategisch fokussiert – auf „Empowering the all electric society”. Die energetische Transformation der Welt bleibt groß und technologisch herausfordernd und wir haben die richtigen Menschen und genügend Mittel in unseren Projekten. Nur weil wir einen Container aus China nicht gleich da hinkriegen, wo wir wollen, lassen wir beim Innovationspotenzial keinen Millimeter nach. 

25.05.2022
von Editorial Team
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